Das Leben im Dorf vor 100 Jahren
Das dörfliche Leben seit jeher geprägt durch die Landwirtschaft, von deren Wohlergehen die Masse der Dorfbewohner abhängig war. Daraus ergab sich eine weitgehende Interessengleichheit. Hierarchische Unterschiede gab es wohl, zwischen Ackerern, die ihre Kuh einspannten, den Ochsen – „er driv ene Os“ war eine Hervorhebung – oder gar ein Pferd.
Das Wirtschaftsfahrzeug war die rheinische Schlagkarre, ein Einachser, der nach hinten abgekippt werden konnte und von einem Zugtier fortbewegt wurde. Die gebräuchlisten Pferde waren die schweren Belgier mit coupiertem Schweif.
Ackerer Schmitz Matthes auf der typischen rheinischen Schlagkarre (1927)
Gearbeitet wurde solange der Tag hell war, und abends setzte man sich müde von der Arbeit zusammen und betete, zumal im Winter, oft den Rosenkranz. Es gab auch viele gemeinsame Arbeiten im Haus, wie zum Beispiel das Bohnenfitschen. Dies war dann eine fröhliche Angelegenheit, zu der auch die jungen Burschen erschienen und mit Schnaps „belohnt“ wurden.
Bohnenfitschen oder Kartoffelschälen ging in Gesellschaft besser
Der Samstag war noch ein Hauptarbeitstag, an dem alles zum Sonntag gerichtet wurde, wie etwa Hof und Straße zu fegen und überall Ordnung zu schaffen. Je nach Jahreszeit wurde ‚Platz‘, Streusel- oder Obstkuchen gebacken.
Von fernen Ereignissen erfuhr man fast nichts, und so war man auf den engsten Bereich seiner Umgebung angewiesen. Haustüren wurden nicht abgeschlossen, es sei denn, Zigeuner waren in der Nähe, deren üblicher Rastplatz bei der Auffahrt zur Allner-Brücke lag. Das Dorf war früher Arbeitsplatz und nicht nur Schlaf- und Freizeitort. Infolgedessen herrschte dort auch ständig Leben im Freien. Die Kinder spielten draußen, man fuhr zum Feld und zurück, die Frauen versorgten den Hof, Garten und Vieh oder hielten ein Kläfchen (Schwätzchen) auf der Straße.
Typischer Ackerer-Hof der Familie Rings in Weldergoven, Haus Nummer 2 / Siegstraße 25, „Im alten Garten“ vermutlich Spätherbst 1912. Vorn links der Geräteschuppen, Vorbau rechts Backofen, beide inzwischen abgerissen. Alle übrigen Gebäude stehen heute noch.
Auch fahrendes Volk und Händler zogen durch den Ort. Die Kinder wurden im Haus geboren und man starb auch dort. Dann wurde der Tote im Haus aufgebahrt, Kerzen brannten, und die Nachbarschaft versammelte sich an drei Abenden zur Totenwache mit Gebet. Am Beerdigungstag ging es dann mit dem pferdebespannten Leichwagen nach Hennef zum Begräbnis.
Trauerzug von Weldergoven nach Hennef um 1955. Vorn die Gleise der Brölbahn, im Hintergrund Schloß Allner.
Die Feste
Das dörfliche Leben orientierte sich an bestimmten Festpunkten, die einmal durch den bäuerlichen Jahresablauf vorgegeben waren, anderenteils durch die kirchlichen Feste und das religiös bestimmte Brauchtum, oder durch Familienanlässe hervorgerufene Feiern. Das Hauptfest des Jahres war die Hennefer Kirmes. Zu diesem Ereignis kam die Verwandtschaft auch von weither zusammen. Schon morgens nach dem Hochamt standen die Fähndelschwenker aus Weingartsgasse vor der Hennefer Kirche und traten an der Spitze des Zuges zum Saale Wingen oder auch Kaiserhof. Dann feierte man zwei Tage, von Sonntag bis Montag zum Frühball. In den Häusern wurden große Bleche mit Apfel- und Pflaumenkuchen gebacken, dessen Reste die Gäste mit nach Hause nahmen. Auch sonst wurde fleißig aufgetischt. Es gab selbst gekelterten Obst- und auch Traubenwein, sofern man auf der anderen Siegseite Weinbergsbesitz hatte.
Familienfeste waren meist zugleich auch Dorffeste, von der Taufe einmal abgesehen, die, weil sie so häufig vorkam auch nicht besonders hervorzuheben war. An der Erstkommunion nahm die Nachbarschaft im weitesten Sinn Anteil. Die Haustür wurde grün umkränzt mit weißen Schleifen. Man machte kleine Geschenke, wie auch gebackene Osterlämmchen aus Rührteig. Nach der Heiligen Messe am Vormittag gab es ein Festmahl im Hause, zu dem die Paten und die Familie eingeladen waren. Am zweiten Tag bat man üblicherweise die Nachbarschaft zu Gast.
Haus Nummer 7 / Siegstraße 21, Erstkommunion in der „Pütz-Wirtschaft“ (1915) zugleich auch „Posthilfsstelle“ (Schild links neben der Tür). Das Holz vorn liegt für den Backofen bereit. Rechts in der Remise der Bäckerwagen, dahinter eine Kegelbahn. Die Soldaten gehören zu einem Wachkommando für russische Kriegsgefangene, die in der Landwirtschaft arbeiteten.
Zur Hochzeit wurde der Junggeselle von seinen Kameraden am Vorabend verabschiedet. Einen Polterabend heutiger Art beging man erst nach dem Zweiten Weltkrieg, vielmehr war das Hilich-Schießen mit „Katzköpp“ üblich. Dies waren Eisenkugeln mit einem Loch, in das Schwarzpulver und darauf ‚Dreck‘ gepresst wurde. Durch ein zweites Loch, das mit einem Kanal zu dem ersten führte wurde die Zündschnur gesteckt und so gezündet. Natürlich musste dann vom Bräutigam zum Abschied vom Junggesellendasein ‚einer ausgegeben‘ werden. Am Hochzeitstag folgte die große Familienfeier mit Nachbarn und Freunde. Die Goldhochzeiten werden als Dorffeste bis auf den heutigen Tag begangen. Schon am Dorfeingang wurde aus diesem Anlass eine Ehrenpforte errichtet, durch die das Jubelpaar nach dem feierlichen Hochamt in der Pfarrkirche einzog. Dann ging es weiter mit Gratulationen, Gästeempfang und Festessen, Musik- und Liedervorträgen des Kirchchors, Feuerwehr Böller und Fackelzug.
Maibräuche
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die hergebrachten Maibräuche der Junggesellen und der unverheirateten Mädchen in Weldergoven wieder aufgenommen. Es begann mit dem Treffen der Junggesellen in der Wirtschaft Pütz am 30. April abends, wo die Versteigerung der Maibräute stattfand. Dabei ging es um Groschenbeträge, aber das Höchstgebot, das auf eine Maikönigin abgegeben wurde, konnte schon mal 20 Mark betragen. Wollte ein Auswärtiger mitsteigern, so musste er entweder dem Junggesellenverein beitreten oder bei seinem Gebot etwas drauflegen.
Nach diesem Akt zogen die etwa zehn bis zwölf Weldergovener Jungen mit dem Kahn über die Sieg, um den vorher schon erkundeten Maibaum, ein Birke, für das Dorf zu schlagen und dann auf dem Dorfdreieck aufzustellen. Dann ging es wieder zurück, und man holte gemeinsam die kleineren Birken, die den Maibräuten an die Fenster gestellt wurden.
Nun begann ein strenges Ritual, das mit dem Antrittsbesuch bei der Maibraut am 1.5. etwa 16 Uhr begann. Der Maibräutigam erschien mit einem Blumenstrauß im Hause der Maibraut. Am Dienstag und Donnerstag war jeweils ‚Komm und krei Ovend‘ (Komm und krieg Abend). Von 20:00 bis 22:00 Uhr hatte sich der Bräutigam bei seiner Maibraut einzufinden. In der ersten Woche hatte das Paar in dieser Zeit einen Meter voneinander getrennt zu sitzen, in der zweiten 75 cm, in der dritten 50 cm und in der vierten durften sie sich berühren. Dies alles wurde von der Maipolizei, bestehend aus den Junggesellen, die kein Mädchen ersteigert hatten, genau mit Zollstock kontrolliert, wie auch die Einhaltung der nun folgenden Regeln:
- Dienstags und Donnerstags hatten die Jungen pünktlich 22:00 Uhr zum Treff am Maibaum zu erscheinen
- das Haus der Maibraut durfte der Betroffene nur im Laufschritt passieren
- dem Maikönig war mit militärischem Gruß zu begegnen
- am Ortsrand musste vom Fahrrad abgestiegen, das Hinterrad angehoben, und so nach Hause spaziert werden
Bei Verstößen kassierte die Maipolizei Strafgelder in Groschenbeträgen. Die Sache fand zu Pfingsten ihren Abschluss. Die Birke auf dem Dorfdreieck wurde ausgehoben, um dem Pfingstbaum, einer Tanne, Platz zu machen.
Errichtung des Pfingstbaumes mit dem Paias auf dem Weldergovener Dorfdreieck im Jahre 1968.
Mit Pferd und Wagen zogen die Junggesellen dann zum Allner Schlosswald wo sie ein Waldaufseher schon erwartete, denn es kamen die Vereine aus der ganzen Umgebung. Er bot den jungen Leuten Bäume zur Auswahl an, vermaß diese, und für etwa zehn Mark konnten sie einen erwerben. Es ging dabei schon fröhlich zu, denn die Stoßdorfer hatten ein Fässchen Bier dabei, die Weldergovener einen Klaren, um nicht Mangel zu leiden. Die Heimfahrt war nicht ganz einfach, denn bei den engen Kurven mussten die langen Gefährte mit Manneskraft jeweils rumgerückt werden. Zum Lohn gab es die erste Stärkung in Dornbuschs-Wirtschaft in Allner und die nächste in der Waldschänke an der Allner-Brücke. Infolgedessen kamen die Junggesellen zwar fröhlich, aber nicht mehr leistungsfähig im Dorf an. Dies wissend stellten die heimischen Männer den Baum am Dorfdreieck auf, was mit Schwierigkeiten verbunden war, weil man die in der Nähe vorbeiführenden Stromleitung nicht berühren dürfte. Derweil erfrischten sich die Jungen, wohl auch mit einem Sprung in die Sieg, um Abends zum ‚Eiersingen‘, mit Wäschemangeln ausgerüstet, durchs Dorf zu ziehen. Es ging bis zum Allnerhof, wo mit reicher Ausbeute – wohl 25 Eier nebst Speck – zu rechnen war. Vor jedem Haus ertönte dann der
Heischesang:
- Komme he en dösse Hoff, ri, ra Röschen.
Schlöf de Frau dann weck me se of
Refrain: Rosen, das sind Blümelein, Blümelein, alles muß verzehret sein. - Jev uns doch es Pingsei, ri, ra Röschen,
dat schlare me en de Pann entzwei. - Klemmt ens op de Heustall, ri, ra Röschen,
do lien de Eier överall. - Jet uns doch en Röckstöck (=Rückenspeck), ri, ra Röschen,
dat mät de Weldejovene Junge veröck. - Jet uns paar Zijarette, ri, ra Röschen,
die können uns och noch rette. - Dat Hus, dat steht op Stippe, ri, ra Röschen,
do darf mer nit dran tippe. - Lott uns net ze lang he stonn, ri, ra Röschen,
me mösse noch en de Fröhmess jon. - Me don us och bedanke, ri, ra Röschen,
me don uns och net zanke. - Die Frau (Name) die Hätt Paar wieße Behn, ri, ra Röschen,
die glänzen wie Karfunkelsten. - Die Frau die Hätt Paar schwatze Behn, ri, ra Röschen,
die glänze wie ne Klüttesten. - Der (Name) es ne jode Mann, ri, ra Röschen,
der jitt de Junge watt hä kann.
Die Strophe 5 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen der ‚Zigarettenwährung‘ hinzugefügt. Vers 10 wurde gesungen, falls nichts gespendet wurde.
Während der Nacht wurde dann noch allerlei Schabernak getrieben. Die Junggesellen schleppten Gerätschaften, Gartentore oder sonstige lose Teile zum Pfingstbaum, wo sie der Eigentümer etwas mißvergnügt wieder abholen konnte. Am Pfingstmontag war dann das große Eierkuchenessen in der Pütz-Wirtschaft – später im Zelt – und damit endete diese Zeit. Am Pfingstbaum wurde der Paias aufgehangen. Dies war eine Art Lumpenpuppe, die den Sündenbock für kleine Alltagssünden, die im Dorf vorgekommen waren, abzugeben hatte. Er wurde am Pfingstdienstag herabgeholt und in Prozession zum ‚Säusplatz‘ an der Sieg-Durchfahrt gebracht. Dort wurde in humorvoller Weise ‚Gericht gehalten‘, das hieß, der Paias mußte alle Schuld für irgendwelche Unregelmäßigkeiten und läßlichen Sünden auf sich nehmen, wofür er schließlich hingerichtet und verbrannt wurde. Für besondere Realität sorgte eine mit roter Flüssigkeit gefüllte Schweineblase, die dabie aufgestochen wurde.